
Eine kleine Frau, keine 1,60 Meter groß, betrat den Raum. Sie hatte rot gefärbte Haare, ein zögerliches Lächeln und freundliche Augen. Immer wenn sie ihren Arm zum Wassertrinken anhob, musste sie diesen stützen. Ihr Leben war von Krankheiten gezeichnet – Folgen der Erlebnisse in ihren ersten Lebensmonaten.
Stefania Wernik wurde im November 1944 in Auschwitz-Birkenau geboren. Das genaue Datum kennt sie jedoch nicht. Überlebt hat sie nur dank der Stärke ihrer Mutter – und weil sie als „Experiment“ für Josef Mengele, den „Engel des Todes von Auschwitz“, ausgewählt wurde. Was damals geschah, wird sie nie erfahren, nur die körperlichen Spuren bleiben. Am Tag der Befreiung, dem 27. Januar 1945, wickelte ihre Mutter sie in Stofffetzen, legte sie in einen umgedrehten Hocker und zog sie bei minus 20 Grad durch den Schnee. Stefanias Mutter wog dabei selbst nur noch 28 Kilogramm: „Dass wir überlebt haben, ist ein Wunder, wofür ich meinem Herrn jeden Tag danke.“
Das Zeitzeuginnengespräch mit Stefania war einer der bewegendsten Momente unserer Gedenkstättenfahrt. Am 20. Oktober reisten wir – 14 Schülerinnen und Schüler und drei Begleitpersonen – nach Oświęcim, ein kleines verträumtes Städtchen in Kleinpolen, rund 70 Kilometer südwestlich von Krakau. Dass hier eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte stattfand, war kaum vorstellbar. Gemeinsam mit Jugendlichen verschiedener Schulen aus ganz Sachsen verbrachten wir fünf intensive Tage in der Internahonalen Jugendbegegnungsstätte. Während der ersten Kennenlernrunden in den verschiedenen Workshopgruppen wurde deutlich, dass die Schülerinnen und Schüler vor allem eines suchten: ein tieferes Verständnis dieser Zeit und eine Antwort auf die Frage „Warum?“. Jeden Abend haben die Jugendlichen in diesen Workshopgruppen an verschiedenen Projekten gearbeitet, um das Erlebte des Tages auf ihre ganz persönliche Art zu verarbeiten. Bunt durchmischte Gruppen aus verschiedenen Jahrgangsstufen und Schulformen haben dabei in Film-, Fotographie- oder Kreativworkshops zusammengefunden.
Zentraler Bestandteil der Reise waren die Besuche der Gedenkstätten. Am zweiten Tag fuhren wir früh zum Stammlager Auschwitz I, wo ab 1940 zehntausende Unschuldige aus ganz Europa inhaliert wurden – Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, politische Gegner oder auch Frauen wie Stefania Werniks Mutter, die Lebensmittel schmuggelte.
Das erste Mal vor dem Tor mit der zynischen Aufschrift „Arbeit macht frei“ zu stehen, ließ uns sprachlos werden. Dieses Tor, was wir bis dato nur aus Lehrbüchern kannten, schrie uns die Ungerechhgkeiten förmlich entgegen. In fast 30 Baracken sind verschiedene Ausstellungen zu sehen. Neben den Schlaf- und Sanitärbaracken, wurden wir durch die Todesbaracke vorbei an der Erschießungswand geführt. Wir sahen Haare, Schuhe, Koffer, Brillen. Bilder der Inhaftierten blickten uns entgegen – ängstlich, leer, verloren. In der jüdischen Ausstellung konnten wir zudem eine riesige Buchwand sehen, in dem alle jüdischen Opfer des Nahonalsozialismus eingeschrieben waren. Es hatte 16084 Seiten. Viele fanden dort auch ihren eigenen Familiennamen wieder. Besonders berührend war ein schlichter Raum mit Kinderzeichnungen aus den Lagern und Luftschutzkellern: Szenen von Umarmungen, Flucht, Bomben und Tod.
Am nächsten Tag besuchten wir Auschwitz-Birkenau – das Vernichtungslager, das 1941 zur systematischen Ermordung „nicht arischer“ Menschen errichtet wurde. Wir sahen die „alte Judenrampe“, Baracken, die Reste der Gaskammern und Krematorien. Hier konnten einst in 300 Baracken 90.000 Menschen gleichzeihg untergebracht werden – so viele, wie heute in Zwickau leben.
Wer nicht sofort ermordet wurde, erhielt eine tätowierte Nummer. Stefania trug die 89136 – am Oberschenkel, weil ihr Arm als Säugling zu klein war. Während wir das Lager wieder verließen, war dieser Ort für anderthalb Millionen Jüdinnen und Juden Endstation. In der sogenannten Sauna blickten uns ihre Familienfotos an – glückliche Gesichter, deren Zukunft einfach ausgelöscht wurde.
Auch das Werk des Überlebenden Marian Kołodziej beeindruckte uns tief. Nach Jahrzehnten des Schweigens begann er nach einem Schlaganfall 1992 zu malen. Seine Ausstellung in Harmęże zeigt vor allem Augen: „In Auschwitz sehen alle gleich aus. Man sieht nur noch Augen“, sagte er einst. Kurz vor der Ausgangstür lag ein Gemälde auf dem Fußboden unter Plexiglas. Auf seinen Wunsch hin konnte jeder Besucher oder jede Besucherin an dieser Stelle kurz innehalten und folgende Worte sprechen: „Ich will ein guter Mensch sein! Nie wieder Krieg in meinem Leben!“
Eine willkommene Abwechslung boten die Stadtführung durch Oświęcim und der Besuch der alten Synagoge am dritten Tag unserer Fahrt.
Am letzten Abend präsenherten die Gruppen ihre Projekte: Fotos, Filme, Gedichte, Keramiken – Momente voller Gänsehaut und Tränen.
Kurz vor der Abreise am fünften Tag fuhren wir noch einmal zur alten Judenrampe. Hier legte jede Schülerin und jeder Schüler einen selbst gestalteten Stein nieder – zum Gedenken an die zahllosen unschuldigen Opfer des Nahonalsozialismus.
Während des Zeitzeugengesprächs fragte ein Teilnehmer, ob Stefania sich mehr Gerechtigkeit bei der Bestrafung der Täter gewünscht hätte:
„Natürlich weiß ich, dass viele danach ungestraft ein fröhliches Leben leben konnten. Zu mir und meiner Familie kehrte Auschwitz immer wieder zurück. Aber ich möchte keinen Hass empfinden. Ich lebe gerne und danke meinen Herrn jeden Tag dafür. Und jeder intelligente Mensch weiß, was richtig und gut ist. Ich spreche an alle Nationen der Welt, an alle Generationen dieser Nationen. Kein Krieg mehr, kein Faschismus mehr, der Tod, Völkermord, Verbrechen, Schlachtung und den Verlust der Menschenwürde mit sich bringt. Sei wachsam und weise, lass dich niemals von ihnen übernehmen. Deshalb erzähle ich meine Geschichte.“
Und deshalb wollen auch wir ihre Geschichte weitertragen.
ein Text von Frau Reichel, Frau Barth & Frau Honig
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